Die Presse Interview
China stellt eine Gefahr für unsere Sicherheit dar
Rozhovory, Z médií|12.1.2024
Interview. Der tschechische Senator Pavel Fischer über die engen Beziehungen seines Landes zu Taiwan trotz Drohungen Chinas, warum Prag keine Sanktion fürchtet und wie kleinere Länder Europa vor Chinas Intervention schützen können.
Die Presse: Sie engagieren sich seit Jahren für gute Taiwan-Kontakte. Versucht Peking, das zu verhindern, Sie umzustimmen?
Pavel Fischer: Natürlich interveniert China, aber mich berührt das nicht. Peking will uns seine eigenen „roten Linien“ aufdrücken. Wichtig ist, dass wir unsere Grenzen selbst definieren, unsere Interessen im Auge behalten. Die sind: Alliierte, mit denen wir Werte wie Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat teilen; also Verbündete wie Taiwan, lebhafte und solide Demokratien. Wenn wir diese Beziehungen pflegen, stärken wir unsere Immunität gegen ausländische Interventionsversuche.
Wie sehen diese aus?
Einige Beispiele: Peking übte enormen Druck auf Ex-Senatspräsident Jaroslav Kubera aus, der 2020 eine Taiwan-Reise geplant hatte. Anfang 2020 starb er. Heftig reagierte Peking auch auf Prags Bürgermeister, der das „Ein-China-Prinzip“ ablehnte (das Taiwan als Teil Chinas sieht). China droht, mischt sich ein. Und betont dabei stets, wie sehr wir seine Gefühle verletzten.
Kein anderes EU-Land hat so offene und intensive Taiwan-Kontakte wie Tschechien. Befürchten Sie nicht chinesische Sanktionen, wie sie bereits das Taiwanfreundliche Litauen trafen?
Nach jedem hochrangigen Austausch mit Taiwan folgen verbale Drohungen aus Peking. Sie kündigen Strafen für Firmen an, allen voran den Autohersteller Škoda. Einmal listete Chinas Botschaft auf offiziellem Briefpapier alle Firmen auf, die sanktioniert werden würden. Doch kein einziges Mal wurden Drohungen umgesetzt. Nicht einmal, als Senatspräsident Miloš Vystrčil im September 2020 Taiwan besuchte. Der Handel mit China läuft weiter gut. Was wir aber sehr wohl bemerken: Versprechen Chinas, in Tschechien zu investieren, Jobs zu schaffen, wurden nicht erfüllt. Wir haben bessere Erfahrungen mit Taiwan.
Sie waren Sprecher und Berater von Präsident Václav Havel. Ist der China-Kurs sein Erbe?
Havel hatte immer schon enge Kontakte zum Dalai Lama, traf ihn oft, lud ihn ein. Damals schon protestierte China. Unsere Diplomaten waren also seit Beginn der demokratischen Wende gewöhnt, auf Peking zu reagieren. Wir haben lange Übung darin. Auch für die Öffentlichkeit ist Druck aus China nichts Neues. Mit Taiwan hat vor allem unser Parlament seit den 1990ern enge Beziehungen.
Viele Regierungen waren chinafreundlich, ebenso Präsident Miloš Zeman (2013 bis März 2023). Tschechien war lang Teil der Osteuropa-China-Initiative 17 plus eins. Was ist passiert?
Dieses Format hatte Vorteile für China, aber nicht für uns. Außerdem wurden wir in einen Topf geworfen mit Ländern, die nicht einmal in der EU waren, das hat uns geschwächt. Ich habe damals die Regierung stark kritisiert dafür, dass sie das Spiel von Chinas Kommunisten spielte, die EU spaltete und uns schwächte.
Die EU ist zögerlich, wenn es um China geht. Selbst wenn sie jetzt auf „Derisking“ setzt, bemühen sich viele Länder bilateral weiter um enge Kontakte.
Ich habe Berlin und Paris deshalb kritisiert. Unser Ziel sollte sein, gemeinsam gegen China aufzutreten, Instrumente zu entwickeln, um uns vor Interventionen zu schützen. Allein sind wir zu klein, wir müssen im Team spielen. Ich war froh, als EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen über „Derisking“ sprach, aber ich hätte mir eine Strategie gewünscht. Die Nato ist klarer, wenn sie sagt, China gefährde unsere Interessen und Sicherheit. Die EU hat einen blinden Fleck: Sie glaubt, dass wir China dringend brauchen. Und vergisst, wie sehr China die EU braucht. Diese Karte sollten wir ausspielen.
Wie sollte sich die EU gegenüber Taiwan positionieren?
Taiwan als Wirtschaftspartner – und als Alternative zu China – bietet uns große Chancen, wir sollten das nützen. Politisch sollte man sich dafür einsetzen, dass Taiwan als Beobachter bei internationalen Organisationen zugelassen wird. Es ist absurd, wie China verhindert, dass Taiwan am grenzübergreifenden Kampf gegen Krankheiten, Kriminalität, Umweltverschmutzung oder Ähnlichem teilnimmt. Dies verstößt auch gegen unsere eigenen Interessen.
Soll die EU weiter auf Taiwans Eigenständigkeit pochen oder Taiwans Souveränität anerkennen?
Als Taiwans Parlamentspräsident Prag besuchte, luden wir in den Senat ein, das passiert taiwanesischen Politikern selten. Wir vermieden die Begriffe „Land“ oder „Staat“ für Taiwan. Betonten aber, dass Taiwan und Tschechien Subjekte des Völkerrechts sind. Als Völkerrechtssubjekt hat man eigene Gesetze, eine eigene Währung, Regierung und ein eigenes Territorium. Das trifft auf Taiwan zu, unabhängig davon, ob es einen Sitz in der UNO hat. Völkerrechtssubjekte dürfen über ihre Zukunft selbst entscheiden. Daher: Wenn Chinas Staatschef, Xi Jinping, Taiwan mit Invasion droht, verstößt das ständige UN-Sicherheitsratsmitglied China klar gegen die UN-Charta, genauso wie Russland.
Droht nach der Taiwan-Wahl am Samstag eine Eskalation?
Im letzten Jahr drangen Chinas Jets immer aggressiver in Taiwans Luftverteidigungszone ein, kamen auch US-Flugzeugen gefährlich nahe. China will seine Rivalen testen, sehen, wie sie reagieren. Die Volksrepublik zeigt, dass sie bereit ist, Krieg zu führen. Und zwar nicht nur mit Taiwan und den USA, sondern auch mit Japan, Indien, Vietnam, den Philippinen. Wie imperialistisch China ist, beweist deren geografische Karte mit all den neuen Grenzziehungen. Diese chinesische Führung schaut nicht mehr nur nach innen. Sie will expandieren. Dieses China ist eine systemische Gefahr, es bedroht die globale Rechtsordnung und daher auch unsere eigene Sicherheit.
Österreichs Taiwan-Beziehung ist viel zurückhaltender und vorsichtiger als Tschechiens. Haben kleine Staaten im globalen Kräftemessen überhaupt Gewicht?
Es könnte in der EU eine Art Arbeitsteilung geben. Kleinere Staaten, die nicht so massiv von China wirtschaftlich abhängen, könnten eine klarere Haltung einnehmen. Kleinen Ländern wie unseren muss zudem klar sein, dass es im nächsten Jahrzehnt sehr schwierig sein wird, Chinas Einfluss abzublocken, allein wegen Chinas Dominanz im Bereich der künstlichen Intelligenz und wegen der Schwäche unserer Mediensysteme. Wir befinden uns an einem Scheideweg. Noch haben wir die Wahl.
ZUR PERSON
Pavel Fischer ist tschechischer Senator, 2018 trat er als unabhängiger Präsidentschaftskandidat an. 1995 bis 2003 war er Berater von Staatschef Václav Havel, 2003 wurde er Botschafter in Paris. Für sein Taiwan-Engagement erhielt er von Taipeh eine Freundschaftsmedaille.